Newsletter Juli 2023

Old Men's Endgame

Normalerweise wäre die Jahresmitte ein zu früher Zeitpunkt, um jetzt schon über die ökonomischen Entwicklungen im nächsten Jahr zu sprechen. Doch wir leben in aufgewühlten Zeiten, und alleine die Anzahl an richtungsweisenden Wahlen in 2024 macht es schon jetzt erforderlich, den Blick weit nach vorne zu richten. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten Wahlen 2024 und ihre voraussichtliche Bedeutung.

Taiwan

Die derzeitigen Spannungen zwischen Taiwan und China sind auch ein Ergebnis der politischen Entwicklungen in Taiwan. Denn solange die nach dem chinesischen Bürgerkrieg nach Taiwan geflüchtete chinesische Nationalbewegung (Chungkuo Kuomintang, KMT) die taiwanesische Politik bestimmte, herrschte – zumindest in der Sichtweise eines unteilbaren Chinas – Einigkeit. Dies war auch die Grundlage des nie offiziell verkündeten Konsenses von 1992. Demnach gibt es nur ein China, aber beide Seiten haben unterschiedliche Vorstellungen, wie dieses China aussehen soll.

Mit dem Demokratisierungsprozess in Taiwan seit der Jahrtausendwende und spätestens mit der Regierungsübernahme der Fortschrittspartei (Democratic Progressive Party, DPP) 2016 ist dieser Konsens in Frage gestellt. Denn diese Partei vertritt viel stärker einen Unabhängigkeitsanspruch als die Kuomintang. Eine unglaubliche Provokation aus Pekinger Sicht.

Um die Situation vor den Wahlen im Januar noch ein wenig komplizierter zu machen, ist zuletzt eine dritte Partei in Taiwan nach oben gekommen (Taiwanesische Volkspartei, TPP), die einen dritten Weg zwischen den beiden anderen verspricht. Grundsätzlich steht die TPP der DPP näher als den Nationalchinesen. Auch in der Unabhängigkeitsfrage, ohne sich aber klar festzulegen. Nach derzeitigen Umfragen liegt die DPP bei ca. 35%, TPP bei ca. 30% und die KMT bei ca. 20% Zustimmung bei den Wählern. Das bedeutet, dass das Rennen noch offen ist und vermutlich keine Partei alleine eine Parlamentsmehrheit erreichen wird.

Die Regierung in Peking würde am liebsten einen Sieg der Kuomintang, des alten Feindes im Bürgerkrieg, sehen. Das ist aber nicht der wahrscheinlichste Fall. Vermutlich wird der nächste Präsident Taiwans von einer der anderen beiden Parteien gestellt werden. Je stärker dieser Präsident im Wahlkampf und danach seine Bereitschaft zur Rückkehr zum Konsens von 1992 zeigt, desto mehr werden die Spannungen zwischen China und Taiwan abnehmen. Je stärker die Unabhängigkeit Taiwans betont wird, bis hin zum Versprechen eines Unabhängigkeitsreferendums, desto heftiger kann dieser Konflikt eskalieren.

Aus unserer ökonomischen Sicht bedeutet dies, dass China weiterhin Richtung Taiwan drohen wird, um damit die Unabhängigkeitsbestrebungen einzudämmen. Damit wird China aber auch die Investitionsbereitschaft von Ausländern in China und auch die Beziehungen Chinas zum Westen belasten. Insgesamt also ein weiterer Schritt der Deglobalisierung mit Auswirkungen auf Handel und Inflation in vielen Ländern. Was dann nach dem Wahltag geschieht, ist offen. Von Deeskalation bei einer Regierung in Taiwan, die wieder die Sicht der Unteilbarkeit Chinas annimmt, bis zur offenen Konfrontation bei einer Unabhängigkeitserklärung ist alles möglich.

Deutschland und Europa

Die Europawahl im Juni 2024 ist ein Ereignis, dem politische Beobachter häufig nur die Bedeutung nationaler Wahlen zubilligen. Ich teile diese Sicht nicht und ganz besonders nicht bei dieser Europawahl. Denn nicht nur, dass die Anzahl der europäischen Rechtsakte die Anzahl nationaler Gesetzgebungen deutlich übersteigt, gerade im ökonomischen Bereich ist die europäische Gesetzgebung die absolut wichtigste Instanz. Und in der Zusammensetzung des europäischen Parlaments bahnen sich entscheidende Veränderungen an.

Ausschlaggebend ist hier die immer stärkere Zustimmung zu rechten Parteien in Europa. Mit den „Fratelli d’Italia“ und dem „Rassemblement National“ in Frankreich stellen aktuell rechte Gruppierungen in zwei der bedeutendsten europäischen Länder die stärkste Partei. Nach derzeitigen Meinungsumfragen werden die beiden rechten Parlamentsgruppen im europäischen Parlament (European Conservatives and Reformists Group, Identity and Democracy Group) zusammen mehr Abgeordnete bekommen als die sozialistische Gruppe (155 zu 135 Abgeordnete). Am 23.07.2023 finden noch Parlamentswahlen in Spanien statt mit einem voraussichtlichen Wechsel zu einer Mitte-rechts-Regierung, und in Österreich führt in Meinungsumfragen derzeit die rechte FPÖ sehr deutlich (Wahltermin Herbst 2024).

Diese Verschiebungen in der Parteienlandschaft werden voraussichtlich auch Veränderungen in der europäischen Gesetzgebung mit sich bringen. Denn auch wenn die klassischen Konservativen eine weitere Zusammenarbeit mit eher linken Parteien suchen sollten, so müssen sie doch stärker konservative Inhalte durchsetzen. Das ist eventuell auch mit wechselnden Mehrheiten möglich. Erst Ende Juni 2023 hat der Umweltausschuss des europäischen Parlaments mit den Stimmen der Liberalen, der Konservativen und der rechten Parteien das neue Naturschutzgesetz durchfallen lassen. Insgesamt ist bei einer veränderten Parlamentszusammensetzung damit zu rechnen, dass Umweltthemen etwas an Bedeutung verlieren und Wirtschafts- und Migrationsthemen an Bedeutung gewinnen werden.

USA

Das absolute politische Top-Ereignis ist alle vier Jahre die Präsidentschaftswahl in den USA. Schon lange vor dem eigentlichen Wahltermin wird dieses Ereignis die Diskussionen bestimmen. Die erste Fernsehdebatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten ist für den 23. August 2024 geplant.

Derzeit scheint es, als würde es bei der Wahl erneut auf ein Duell Biden gegen Trump hinauslaufen. Die Grafik zeigt die aktuellen durchschnittlichen Zustimmungswerte republikanischer Präsidentschaftskandidaten bei republikanischen Wählern in den Vorwahlen.

Rein von diesen Zustimmungswerten ausgehend könnte man die Kandidatur der Republikaner für ein totes Rennen halten. Aber dem ist nicht so. Gerade der amerikanische Vorwahlkampf ist geprägt von Favoritenstürzen. Bei der Kandidatur Trumps 2016 war Jeff Bush der haushohe Favorit der Vorwahlen. Und 2008 sahen die Zustimmungswerte Hillary Clintons gegenüber Barack Obama ähnlich aus wie jetzt im Fall Trump gegenüber DeSantis.

Das Problem von Donald Trump mit seiner geradezu fanatischen Anhängerschaft ist, dass er keinen Vorwahlkampf machen kann. Denn wenn er diesen macht, muss er polarisieren. Damit bindet er seine Anhänger an sich, verliert aber die Zustimmung in der Mitte, so dass er vermutlich die folgende Präsidentschaftswahl erneut verlieren würde. So ist auch zu erklären, dass Trump schon jetzt darüber nachdenkt, gar nicht an den Fernsehdebatten der republikanischen Kandidaten teilzunehmen.

Das Problem der republikanischen Partei ist: Wie bekommt man Trump weg, ohne dessen Anhängerschaft zu verlieren?

Die Probleme des Amtsinhabers und der demokratischen Partei sind anders gelagert. Auch wenn Biden altersbedingt schon die eine oder andere Schwäche zeigt, sollte ihm die Nominierung seiner Partei sicher sein. Denn die demokratische Partei hat schlicht keinen Nachwuchspolitiker, der in der Lage wäre, die unterschiedlichen Strömungen in der Partei zu vereinen und einen erfolgversprechenden Wahlkampf zu führen.

Die Krux bei Biden sind seine notorisch schlechten Umfragewerte, die es zweifelhaft machen, dass er die Wahl gewinnen würde, wenn er gegen jemand anderes als Trump antreten müsste. Vermutlich drücken in den Vorwahlen viele Demokraten Trump die Daumen. Das andere Problem Bidens ist sein hohes Alter, das auch schon zu dem einen oder anderen Aussetzer geführt hat. Doch Biden befindet sich mit seinem Alter unter den Führern der Welt in guter Gesellschaft. Die folgende Liste zeigt eine Aufstellung der wichtigsten Politiker nach ihrem Alter.

Da zwei Drittel der wichtigsten Politiker schon über dem für normale Arbeiter geltenden Renteneintrittsalter liegen, ist es klar, dass in den nächsten Jahren in den Spitzenpositionen weltweit jüngere Frauen und Männer an die Spitze rücken werden. Doch die kommenden Wahlen in den USA werden geprägt sein vom Kampf zweier alter Männer, auch wenn ein jüngerer am Ende triumphieren könnte.

Dieser Jüngere könnte bei den Republikanern Ron DeSantis sein, der durchaus Trump schlagen kann. Bei den Demokraten kommt ein Jüngerer erst ins Spiel, wenn Biden aus gesundheitlichen Gründen absolut nicht mehr antreten kann. Einen ausgemachten Nachfolger gibt es hier nicht. Auch nicht die Vizepräsidentin Harris, die noch schlechtere Umfragewerte hat als Biden selbst. Ohne Biden wäre es für die Demokraten sehr schwer, das Weiße Haus zu verteidigen.

Doch was bedeuten diese Analysen aus ökonomischer Sicht? Grundsätzlich bewegt sich der Fokus in den USA von Europa weg. Der asiatisch-pazifische Raum hat dort aufgrund seiner zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung – und weil in dieser Region mit China der Hauptkonkurrent der USA sitzt – mittlerweile mindestens den gleichen Stellenwert wie das alte Europa. Das gesamte Handelsvolumen der USA mit der EU betrug 2021 632 Mrd. USD. Im gleichen Zeitraum machte das Handelsvolumen mit China 655 Mrd. USD aus, mit den ASEAN-Staaten 369 Mrd. USD und mit Japan 209 Mrd. USD.

Wichtig hierbei zu wissen ist, dass die Importe in die USA aus diesen asiatischen Ländern mindestens immer doppelt so groß sind wie die Exporte der USA in diese Länder. Aus diesen Beziehungen resultiert der größte Teil des amerikanischen Handelsbilanzdefizits. Schon unter der Präsidentschaft Trumps war das Handelsbilanzdefizit gegenüber China das außenpolitische Topthema. Und jeder zukünftige Präsidentschaftskandidat, der das Wahlversprechen „Jobs, Jobs, Jobs“ aufnehmen will, muss diese Wirtschaftsbeziehungen auch zu seinem Topthema machen. Dies führt unweigerlich zur Konfrontation mit China, da deren Wirtschaftstheorie der zwei Kreise – ein abgeschotteter innerer und ein auf Expansion ausgelegter äußerer – den amerikanischen Interessen genau zuwiderläuft.

Aus amerikanischer Sicht ist eine stärkere Bedeutung der USA im wachstumsstarken Asien unverzichtbar. Die Strategie hierzu wird einerseits auf der angestrebten Öffnung der asiatischen Märkte für amerikanische Produkte und Dienstleistungen beruhen oder, wenn dies nicht erfolgt, auf Wirtschaftssanktionen und Handelsbeschränkungen, um amerikanische Arbeitsplätze vor „unlauterer Konkurrenz“ zu schützen.

An dieser Stelle ergibt sich auch ein gehöriges Konfliktpotenzial zwischen den USA und Europa. Denn Europa (und ganz besonders Deutschland) ist konjunkturell von den Wirtschaftsbeziehungen nach Asien viel abhängiger als die USA. Deshalb wollen die Europäer nach Möglichkeit auch einen Wirtschaftskrieg mit China vermeiden. Die USA sind letztendlich aber bereit, diese Auseinandersetzung zu führen. Joe Biden ist vermutlich für längere Zeit der letzte Präsident, der noch so europäisch ausgerichtet ist, wie es der traditionellen amerikanischen Politik entsprach. Vermutlich werden die Beziehungen zwischen Europa und den USA schwieriger, egal mit welchem Nachfolger.

Konjunktur: Auf des Messers Schneide

Vor dem Hintergrund, dass sich die wichtigsten Volkswirtschaften infolge unterschiedlicher Interessen voneinander entfernen, stellt sich die Frage, wie die mittelfristigen Konjunkturaussichten aussehen?

Aktuell befindet sich fast die gesamte Welt in einer Phase konjunktureller Verlangsamung. Diese wurde ausgelöst durch die zuerst gestiegenen Inflationsraten und die darauf erfolgten massiven Zinserhöhungen in allen klassischen Industrieländern.

Ausgehend von nie gekannten Niedrigzinsen im negativen Bereich haben die Notenbanken in relativ kurzer Zeit die Zinsen wieder auf normale Niveaus im unteren historischen Bereich angehoben. Bisher wurde dabei kein Crash an den Märkten oder eine Rezession ausgelöst. Da es nicht einmal eine annähernde historische Erfahrung gibt, mit welchen Reaktionen man nach einer solchen Niedrigzinsphase und Geldschwemme rechnen muss, ist das fast unglaublich. Sollte es wirklich gelingen, eine solche Niedrigzinsphase mit einem Soft Landing zu beenden, dann können wir alle vor den Notenbanken nur den Hut ziehen.

Doch es ist noch nicht abschließend klar, und in die Entwicklung spielen auch Faktoren hinein, die außerhalb der Einflussmöglichkeiten der Notenbanken liegen. Es bleibt also abzuwarten, ob wir am Ende der Zinserhöhungen eine Rezession vermieden haben werden. Wenn wir den Verlauf der Einkaufsmanager-Indizes für die USA (Manufacturing-Index als blaue Linie und Service-Index als orange Linie), die Eurozone (grüne Linie) und Deutschland (rote Linie) betrachten, dann sieht es so aus, als ob nur in den USA die konjunkturelle Abwärtsbewegung stoppen würde.

 
Quelle: Bloomberg

Ganz besonders in Deutschland zeigen schon neuere als die hier verwendeten Ende-Mai-Daten einen weiteren deutlichen Rückgang der Wirtschaftsaktivitäten an.

In den USA bestehen gute Chancen, dass es tatsächlich zu einem Soft Landing mit anschließend wieder anziehenden Wachstumsraten kommt. Wichtige Gründe hierfür sind die Servicelastigkeit der US-Wirtschaft, die nicht so zinssensitiv ist, wie andere Volkswirtschaften und die hohe Innovationskraft der amerikanischen Unternehmen. So wie sich die Daten darstellen werden die USA die Zugmaschine der Weltwirtschaft.

In Europa und ganz besonders in Deutschland hat man vermutlich die ökonomischen Gefahren noch nicht richtig erkannt. Die Eurozone als Ganzes wird voraussichtlich eine längere Phase konjunktureller Schwäche durchlaufen, in Deutschland dürften negative Wachstumsraten über mehrere Quartale nicht mehr zu vermeiden sein. Erst wenn Kapazitäten abgebaut werden und die Arbeitslosigkeit steigt, werden viele Politiker die ökonomische Situation realisieren.

Zinspolitik: Wann ist viel zu viel?

Dass die aktuelle konjunkturelle Abschwächung von der Straffung der Zinspolitik ausgeht, steht außer Zweifel. Doch wann endet der aktuelle Zinserhöhungszyklus? Das gesamte erste Halbjahr war geprägt von der Erwartung, dass die Zinsanhebungen ein Ende finden werden und die Zinsen zum Jahresende hin sogar wieder fallen. Diese Erwartung musste nach und nach zurückgenommen werden, aber noch immer sind die langfristigen Zinsen, in Erwartung zukünftig wieder sinkender Raten am kurzen Ende, niedriger als die Geldmarktzinsen.

Um einer Aussage über die Zinsentwicklung näher zu kommen, müssen wir die voraussichtliche Entwicklung der Inflationsraten betrachten. Diese sind, im Vergleich mit den Höchstständen um den Jahreswechsel, schon deutlich zurückgekommen. Doch werden sie auch bis auf die 2%-Ziele der Notenbanken absinken?

Ohne eine kräftige Rezession vermutlich nicht. Denn wir sehen strukturelle Inflationstreiber, die dem entgegenstehen. Zum einen ist hier der Prozess der Deglobalisierung zu nennen. Zum anderen aber auch die angespannte Situation an den Arbeitsmärkten vieler Länder. Die Situation, dass infolge der Altersstruktur mehr Arbeitnehmer aus dem Berufsleben ausscheiden als eintreten, ist in nahezu allen Industrieländern und auch in China zu beobachten. Dieses sich vermindernde Arbeitsangebot führt natürlich zu höheren Preisen für Arbeit und ist längerfristig der Inflationstreiber Nummer eins.

Hinzu kommt noch, dass die in den Jahren der extrem expansiven Geldpolitik geschaffene große Geldmenge nach wie vor hohes inflationäres Potenzial besitzt. Die kurze Zeit der jetzt etwas restriktiveren Geldpolitik reicht nicht, um den Überhang von vielen Jahren abzubauen – zumal die zweitgrößte Volkswirtschaft China weiterhin mit einer expansiven Geldpolitik die Konjunktur stimuliert.

Vor dem Hintergrund dieser Faktoren versuchen wir, die zukünftige Inflationsentwicklung zumindest annähernd zu prognostizieren. Hierfür haben wir die Peis- und Arbeitsmarktdaten der letzten vier Monate analysiert und mit den strukturellen Faktoren verbunden. Herausgekommen ist, dass wir für die USA eine Basisinflation von 3,17% p.a. und für Deutschland eine von 3,66% p.a. schätzen. Diese Schätzwerte haben wir als lineare Monatswerte an die historische Inflationsentwicklung angehängt und so die Inflationsprognose in der nächsten Grafik erzeugt.

Interessant an dieser Darstellung ist, dass in den USA im Juni noch einmal ein großer Basiseffekt aus der Statistik herausfallen wird und dann mit einer Inflationsrate von ca. 3,3% der große Abstieg von den hohen Inflationswerten abgeschlossen ist. Alles, was deutlich darüber hinaus geht, müsste entweder mit einer nicht zu erkennenden Lohnzurückhaltung mit ebenfalls nicht zu erkennenden Produktivitätssprüngen oder mit deutlich sinkenden Rohstoff- oder Energiepreisen verbunden sein.

In Deutschland und Europa wird der Abstieg der Inflationsraten noch deutlich länger anhalten, voraussichtlich bis ins Jahr 2024. Da wir das Rezessionsrisiko in Europa deutlich höher einschätzen als in den USA, kann hier der Abstieg auch unter die amerikanischen Werte führen. Dafür müsste die Wirtschafts-entwicklung in Europa aber noch schlechter sein, als von uns angenommen. Bei einer sehr tiefen Rezession könnte auch das Inflationsziel der EZB erreicht und unterboten werden.

Wie werden sich die Notenbanken verhalten, wenn ihre 2%-Inflationsziele nicht von selber erreicht werden? Sie könnten natürlich weiter die Zinsen anheben und ihr Inflationsziel, auch auf Kosten einer richtigen Rezession, erzwingen. Aber das halte ich für unwahrscheinlich.

Denn 2024 ist in den USA Wahljahr. Die beste wirtschaftspolitische Tat der Biden-Administration war, dass sie sich komplett aus der Geldpolitik herausgehalten hat. Das Gegenteil haben wir in der Türkei gesehen, wo der Präsident seine Macht genutzt hat, um seine geldpolitischen Thesen in der Realität auszuprobieren. Wer einen Beweis für die Sinnhaftigkeit unabhängiger Notenbanken gebraucht hat, hat ihn bekommen. Das sieht vermutlich auch der Türkische Präsident jetzt so, der anscheinend nach seiner Wiederwahl einen Kurswechsel eingeläutet hat.

Doch ganz im akademischen Vakuum handelt auch eine unabhängige Notenbank nicht. Spätestens bei der Neubesetzung der Chefposten gilt wieder das Primat der Politik. Und so hat die amerikanische Fed auch immer versucht, sich aus den Wahlkämpfen herauszuhalten. Denn spätestens, wenn die Arbeitslosigkeit auf wahlbeeinflussende Niveaus steigt, wird die Kritik an der Notenbank sehr deutlich werden. Und das aus allen Lagern, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.
Unserer Ansicht nach wird die Fed, die die Basisinflation viel besser berechnen kann als wir, in diesem Jahr noch ein oder zwei Mal die Zinsen anheben. Dann wird sie darauf verweisen, dass man jetzt erst einmal die langfristigen Ergebnisse der bisherigen Zinspolitik abwarten muss. Dabei müssen natürlich genau die Daten beobachtet werden, was bedeutet, dass die Fed nach oben nur handeln würde, wenn ein angespannter Arbeitsmarkt zu drastischen Lohnsteigerungen führt. Oder nach unten, wenn sich deutlichere Anzeichen einer Rezession zeigen sollten.

Die EZB, die nicht nur auf die Eurozone als Ganzes, sondern auch auf die Befindlichkeiten jedes Mitgliedes achten muss, wird diese Vorgabenpause der Fed zu schätzen wissen. Vermutlich wird die EZB noch etwas häufiger die Zinsen anheben als die Fed. Sie wird beim absoluten Niveau aber weit unter den Amerikanern bleiben und auch auf eine Zinspause zielen. Spätestens Ende 2023 sollte auch in Europa der Zinsgipfel erreicht sein.

Das grobe Bild

Bei einem so langen Zeitraum mit so vielen Unwägbarkeiten können unsere Ausführungen nur grobe Anhaltspunkte sein. Natürlich besteht z.B. die Möglichkeit, dass die schon erfolgten Zinserhöhungen doch noch eine tiefere Rezession auslösen. Doch für diese Sichtweise fehlen uns die Fakten. Aus unserer Sicht werden die Risiken für die Kapitalmärkte in den nächsten Monaten vor allem aus dem politischen und gesellschaftlichen Umfeld kommen und weniger aus direkten ökonomischen Entwicklungen.

Der größte globale Risikofaktor liegt vermutlich in der Entwicklung in China begründet. Darüber soll unser nächster Newsletter informieren. Hier wollten wir den Blick schärfen für Entwicklungen und Risiken, die mit den entscheidenden Wahlen in den nächsten 18 Monaten auf uns zukommen. Und schon geringfügige Abweichungen von unseren Annahmen können zu einem viel pessimistischeren Bild führen, als wir dies gezeichnet haben. Erfolg und Misserfolg liegen in unseren schnelllebigen Zeiten eng beieinander. Es gibt große Risiken, aber wir wollen auch nicht alles schwarzsehen. Ihnen allen wünschen wir ganz sicher alles Gute.

Kay-Peter Tönnes
Bad Homburg v.d.H., den 03.07.2023

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